Luis (powered by bommes und pier)

Berlin Alexanderplatz oder Kaffwil Dorfplatz?

28. Februar 2025

Berlin. Eine Stadt wie nur wenige. Eine Stadt voller Versuchungen und Laster. Hoch zu den Sternen, doch ein kleiner Misstritt reicht – und man fällt alle Treppenstufen runter, die man jemals erklommen hat. Und dann?

Als Exempel hierfür kann Franz Biberkopf gesehen werden – Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis des Berliner Stadtteils Tegel, in welchem er aufgrund des Totschlages seiner damaligen Freundin sass, stand er auf der Strasse und hatte nichts mehr. Ausser dem Vorsatz, von nun an anständig zu sein. Doch dies gelingt ihm schon zu Beginn mehr schlecht als recht – und der Leserschaft kommt schnell mal der Gedanke, als fiele es Biberkopf äusserst schwer, wieder einen stabilen Anschluss an die Gesellschaft zu finden. Er treibt sich herum, vergewaltigt die Schwester seiner getöteten Freundin (dies ist indes für ihn kein Verstoss gegen die Anständigkeit), säuft viel, hält sich u.A. mit dem Verkauf von Schlipshaltern über Wasser, lässt sich leicht beeinflussen und scheint sich so vorerst mal ein Bisschen herumtreiben zu lassen.

Wie wir nun gesehen haben, gelingt es Franz nicht wieder, sich selbstständig in die Gesellschaft einzugliedern und in ihr funktionierend teilzuhaben. Doch weshalb ist dies so? Die Geschichte des Franz Biberkopf ist sehr vielschichtig und es gibt viele Gegebenheiten, die diesen Sachverhalt so beeinflusst haben könnten. Doch ein möglicher Erklärungsansatz dafür, den ich persönlich ziemlich spannend finde, ist die Anonymität der Grossstadt.

Doch was soll diese Anonymität der Grossstadt überhaupt sein? Der Grund für diese Anonymität ist darin zu verorten, wie viele Menschen an einem Ort zusammenleben. In Dörfern, wo viel weniger Leute leben als in Städten, begegnen sich dieselben Leute öfter. Und so beginnt man sich zu kennen, man grüsst sich beim Zusammentreffen, man spricht vielleicht auch ab und zu mal miteinander. Dies führt zu einer gewissen sozialen Kontrolle, die eine Gemeinschaft in sich aufbauen kann. Dadurch, dass sich dieselben Leute in Dorfgemeinschaften deutlich öfters begegnen als in einer Grossstadt wie Berlin, kann man sich viel mehr auf sein Gegenüber achten und dadurch kann schliesslich erreicht werden, dass sich die Gemeinschaft zu einem gewissen Grade stets im Auge behält. Und wenn sich das Verhalten von jemandem stark verändert, dann bliebe das nicht lange unbemerkt. Ganz anders ist dies jedoch in den Grossstädten: Die grossen Menschenmassen sorgen zwangsläufig dafür, dass man sich immer weniger auf einzelne Personen achtet. Dies führt zu einer gewissen Distanz zwischen den Menschen – man fühlt sich nicht mehr füreinander verantwortlich, verliert sich aus den Augen.

Nehmen wir nun an, es gelänge Franz Biberkopf, nach seinem Gefängnisaufenthalt nicht mehr in Berlin zu bleiben, sondern stattdessen die Stadt zu verlassen und aufs Land zu ziehen. Nehmen wir mal an, es verschlüge ihn in ein Dorf in Brandenburg, fernab von der Grossstadt und vom Untergehen in der Masse. Biberkopf fände womöglich relativ schnell Arbeit bei einem Landwirtschaftsbetrieb und wäre so seinem Ziel der Anständigkeit schon bedeutend näher gerückt. Und auch wenn der Alkohol in Franzens Leben wieder präsenter würde und er die Zeit fast nur noch mit Trinken und Schlafen verbringen würde – wie das etwa im vierten Buch der Fall ist – so würde dies in einer Dorfgemeinschaft bedeutend mehr auffallen, als dass es dies in Berlin tut.

Es bleibt zu sagen, dass die Anonymität der Grossstadt nicht nur negative Aspekte mit sich zieht. So kann es einem in einer anonymen Menschenmasse leichter fallen, sich selbst zu verwirklichen oder etwa sein Leben langfristig neu auszurichten – die soziale Kontrolle, wie sie vor Allem in ländlicheren Gebieten erlebbar ist, könnte sich hierfür hingegen eher als hinderlich herausstellen.

Obwohl sowohl soziale Kontrolle als auch die Anonymität von grossen Menschenmassen gewiss ihre Vor- und Nachteile haben, wäre im Falle des Franz Biberkopf eine grössere soziale Kontrolle zweifelsohne notwendig gewesen, um ihn wieder in die Gesellschaft eingliedern zu können. Denn schon zu Beginn des Buches wird es offensichlich: Alleine schafft er es nicht, er ist überfordert, kann der Reizüberflutung des Grossstadtlebens nicht standhalten. Und ohne soziales Netz um sich herum fällt er schlussendlich vollends aus dem Raster.